Kyudo

Das Schießen in zeremonieller Form, dem Taihai, wird speziell bei Prüfungen und Wettkämpfen praktiziert.

Kyudo — Japanisches Bogenschießen — Eine Übung der Langsamkeit

In einem Kyu-Dojo so wie dem Shu Gi Kan Kyu-Dojo des Budo-Zentrum Rottweil e.V. herrscht große Stille, wenn die Kyudoka ihrem Tun nachgehen. Es ist für westliche Ohren ungewohnt, dass Menschen sich treffen, um zu üben, ohne dass dabei geredet wird. Nur der scharfe Klang der zurückschnellenden Sehne, wenn sie das Bogenholz nach dem Abschuss eines Pfeiles berührt, zerschneidet diese Ruhe. Ab und an erhalten die Kyudoka leise Anweisungen und Korrekturen, um ihr Schießen zu verbessern.

Kyudo, der Name verrät es bereits, ist ein „Do“, ein Weg: Kyu-Do bedeutet der Weg des Bogens. „Wer sich auf solch einen Weg einlässt, weiß, dass dieser nie ein Ende finden wird. Dem Anfänger ist dies meist nicht bewusst, aber die Meister wissen um diese Tatsache“, sagt Marion Moritz, die die Kyudogruppe des Budo Zentrum Rottweil leitet . Der Spruch: „Der Weg ist das Ziel“, treffe nirgends so exakt ins Schwarze wie beim japanischen Bogenschießen. Wer sich auf diesen Weg begebe, werde im Laufe der Jahre auf allerlei Schwierigkeiten mit sich selbst stoßen, deren Lösung den Übenden aber auf die nächste Stufe der Meisterschaft hebe, erklärt Marion Moritz.

Der Bogen ist asymetrisch, daher benötigt er eine sehr spezielle Technik, die langes lernen und üben erfordert.

Jeder Weg beginnt mit dem ersten Schritt. Dieser Schritt führt den Kyudo-Interessierten über die Schwelle des Dojos des Budo Zentrum im Rottweiler Neckartal. Das Dojo ist groß, die Trainingsfläche misst zwölf mal zwölf Meter. Der Raum erstrahlt in warmen, hellen Holztönen. Linker Hand stehen die Makiwara, die Reisstrohwalzen auf ihren Holzständern. „Diese Strohwalzen dienen dem Anfänger und dem Fortgeschrittenen gleichermaßen, um auf kurze Schussdistanz nur an die Technik denkend, sein Schießen zu verbessern“ erläutert Moritz. Ganz vorne an der rechten Seite ist eine große Nische in der Wand eingelassen. Dort ist der Fußboden erhöht. Kamiza sagen die Japaner und auch im Shu Gi Kan Kyu-Dojo wird dieser Bereich so genannt. Es ist der Ehrenplatz, dem höchsten Lehrer vorbehalten. Jeder Kyudoka verbeugt sich beim Betreten des Dojo in Richtung der Kamiza, bezeugt seinen Respekt und taucht in diese so andere Welt ein.
Doch geradeaus geschaut, gegenüber dem Eingang, traut der Besucher seinen Augen nicht. Ist nicht dort das Dojo fast auf der gesamten Breite geöffnet? Zwölf Meter misst diese Öffnung. Das Falttor ist links und rechts zusammengeschoben und gibt den Blick nach draußen frei. Weit hinten steht am Ende einer Rasenfläche das Azuchi, der überdachte Sandhügel, an dem die Zielscheiben aufgehängt werden. Auf gepflastertem Weg, gesäumt von Rosen und Bambus, kann man seitlich dort nach vorne gehen, um die Pfeile zurück ins Dojo zu bringen.

„Die Menschen gehen beim Kyudo sehr achtsam miteinander um“, sagt Marion Moritz. Die Jüngeren verneigen sich vor den Älteren, alle versammeln sich vor Beginn vor der Kamiza und verneigen sich vor dem Lehrer.
Die Investition des Anfängers ist gering, um erste Gehversuche zu unternehmen. Um sich die fürs japanische Bogenschießen wichtigen Bewegungen anzueignen, eignet sich das Üben mit dem Goyumi, einem Holzstock mit einem Gummischlauch. In diesem Stadium kann in einfacher Freizeitkleidung geübt werden. „Das Üben am richtigen Bogen ist aus Sicherheitsgründen am Anfang nicht erlaubt, zu groß ist die Verletzungsgefahr“, erklärt Moritz.
Japanische Bögen sind in ihrer Form einzigartig in der Bogenwelt, da sie asymmetrisch sind. Der untere Wurfarm misst nur ein Drittel der gesamten Bogenlänge und auch die Sehnenlage im Verhältnis zum Bogengriff erfordert eine spezielle Technik der linken Hand im Abschuss. Dieser Bogengriff der linken Hand, Tenouchi genannt, ist nicht einfach zu lernen. „Ohne ihn kann Kyudo eine sehr schmerzhafte Erfahrung werden. Ob jemand schon zum Abschuss bereit ist, ist daher eine verantwortungsvolle Entscheidung, die der erfahrene Lehrer treffen wird“, erläutert Moritz.
Kyudo-Anfänger lernen durch Nachahmung des Lehrers Stück für Stück die acht Einzelschritte, im japanischen Hassetsu genannt, in die der Schießablauf gegliedert ist. Nach und nach lernen sie ihren Körper und ihre Motorik besser zu beherrschen. „Im Laufe der Zeit wird sich auch ein Verständnis dafür entwickeln, warum Bewegungen im Kyudo so und nicht anders auszuführen sind.“ Die in Rottweil praktizierte Kyudo-Schule der Heki Toryu blickt auf eine jahrhundertealte Tradition zurück. Heki Danjo Masatsugu (1443-1502) hat die bis heute gelehrte Technik in der Zeit um 1467 entwickelt.

Das Shu Gi Kan Kyu Dojo bietet das passende Ambiente für diese seit Jahrhunderten praktizierte Form des Bogenschießens.

„Das Erlernen dieser alten Bogenschießtechnik bedarf keiner speziellen Voraussetzungen. Egal ob Frau oder Mann, wer auf beiden Beinen stehen kann, Geduld und Interesse mitbringt, dem werden sich nach und nach neue Horizonte öffnen“, ist sich Moritz sicher. Da die Zuggewichte der Bögen stets an das angepasst werden, was der Bogenschütze zu leisten vermag, kann Kyudo auch bis ins hohe Alter hinein praktiziert werden.