Die 60 Meter-Distanz gelernt und im Wettkampf erprobt
Für die Rottweiler Kyudoka des Budo Zentrum Rottweil e.V. waren die Tage vor dem Enteki-Sonntag einigermaßen aufregend. War es doch nicht wirklich abzusehen, wie sich das Wetter entwickeln würde. Letzten Endes fällten sie am Samstag die Entscheidung das Wagnis einzugehen. Am frühen Sonntagmorgen trafen sie sich, um gemeinsam das normalerweise hart umkämpfte Grün des Rugby-Clubs in ein Freiluft-Dojo umzuwandeln. Die Unsicherheit, was das Wetter betraf, sollte den ganzen Sonntag über anhalten, aber am Ende des Tages waren alle angereisten Kyudoka trocken geblieben.
Enteki heißt übersetzt „das weite entfernte Ziel“. Sechzig Meter beträgt die Distanz zwischen Schützen und Ziel. Eine Distanz, die im Kyudo aufgrund des großen Platzbedarfs nicht all zu oft geschossen werden kann. Das Kyu-Dojo des Budo Zentrum im Rottweiler Neckartal ist nur für die Kinteki-Distanz, also die gebräuchlichen 28 Meter ausgelegt. Es ist daher nicht verwunderlich, dass sich zahlreiche Kyudoka aus anderen Dojo zu diesem Freiluft-Event angemeldet hatten.
Bis zehn Uhr musste der Aufbau erledigt sein. Zur Sicherheit wurde wieder der große Pavillon aufgebaut, der in diesem Jahr weniger die Funktion eines Sonnenschutzes hatte, sondern vielmehr die Schützen vor eventuellen Regengüssen von oben bewahren sollte. Auch von unten her musste, um das herangeschaffte Equipment bestehend aus Bogen- und Pfeilständern vor der Nässe des sehr feuchten Platzes zu bewahren, eine Plane ausgelegt werden. Mit einem sehr langen Maßband ausgestattet machten sich zwei Kyudoka auf, die Fläche zu vermessen und die Zielscheiben in die rechten Positionen zu bringen. Hand in Hand liefen die zu erledigenden Arbeiten und es zeigte sich wieder einmal was für ein tolles Team hier am Werk war.
Ganz pünktlich schaffte man den Start der Veranstaltung nicht, da die angereisten Teilnehmer diesmal etwas mehr „Ausrüstung“ heranzuschaffen hatten. Coronabedingt war die Nutzung des nahegelegenen Dojo in der Stadionstraße nur als große Umkleidemöglichkeit zugelassen. Eine Nutzung für den Pausenaufenthalt oder gar das Mittagessen war in diesem Jahr ausgeschlossen. Die Teilnehmer trugen so nicht nur ihre Bögen, Pfeile und was man sonst so fürs Kyudo benötigt, nein, jeder brachte sein Picknickkörbchen und eine klappbare Sitzgelegenheit mit.
Nach der Begrüßung durch Marion Moritz, der Kyudo-Trainerin des Budo Zentrums, die die Teilnehmer durch diesen Tag führte, erfolgte für die Neulinge in dieser Schießform eine kurze Einweisung. Moritz erklärte die Pfeilarten, die hier Verwendung finden und demonstrierte die Besonderheiten und Abweichungen der Schießtechnik des Enteki zu der normalerweise praktizierten Kinteki-Form. Das Training konnte beginnen. Die Trainerin ging immer wieder von Schütze zu Schütze, erklärte Details, korrigierte die Körperhaltung und beobachtete aufmerksam das Geschehen. Nach und nach sah man, wie die Kyudoka mehr Sicherheit gewannen. Die Streuung der Pfeile wurde von Runde zu Runde kleiner. Konzentriert und ruhig gingen die Schützen zur Shai, der Abschusslinie, um einen Pfeil nach dem anderen über die 60-Meter-Distanz zu schicken.
Nach dem gemeinsamen Mittagspicknick gab es nochmals eine kurze Runde freies Training, bevor Marion Moritz alle zum Wettkampf zusammen rief. Ihr Anliegen war es, dass jeder das an diesem frühen Nachmittag Gelernte unter der Belastung einer Wettkampfsituation erproben konnte. Der Spaß sollte dabei aber nicht zu kurz kommen und so wurde anstatt der üblichen „trockenen“ Zielscheibe mit schwarz-weißen Ringen eine riesengroße, handgemalte Scheibe in Apfelform in 60 Metern Entfernung aufgehängt. Der Apfel-Schuss, als kleine augenzwinkernde Reminiszenz an die Verbundenheit Rottweils mit der Schweiz gedacht, lebte an diesem Wochenende wieder auf. Nach Auslosung der Startreihenfolge legten die Schützen ihren Yugake an. Jeder Schütze hatte acht Pfeile, die er Richtung Apfel-Scheibe schießen durfte. In Fünfergruppen traten sie an die Shai und jeder schoss die ersten beiden Pfeile. So entwickelte sich ein spannender Wettkampf. Runde um Runde, Schütze um Schütze, Pfeil um Pfeil kämpften sie unter den wachsamen Augen von Marion Moritz, die den Wettkampf leitete, um den Sieg. Sehr bald schon zeigte sich, wer besonders gut in Form war. Nach 4 Pfeilen gestaltete sich der Wettkampf noch relativ offen. Mancher besaß das Potential zur Steigerung seines Trefferergebnisses in den letzten beiden Runden. Doch ein Schütze ließ sich den Sieg nicht mehr streitig machen. Pfeil um Pfeil, Treffer um Treffer arbeitete er am Sieg in diesem Wettkampf. Er gönnte sich nur eine kleine Schwäche. Diese änderte aber nichts am Ergebnis. Mit 7 von 8 Treffern und einer Punktzahl von 23 setzte sich Bernhard Weller von der Kyudo-Gruppe des Budo Zentrum Rottweil vom Zweitplatzierten Bernd Rüger vom Kyu-Dojo Stuttgart mit 11 Punkten deutlich ab. Mit 10 Punkten erzielte Michael Rees, ebenfalls aus Stuttgart, den dritten Platz.
Trotz der schwierigen Witterungsverhältnisse hatten sich immer wieder Zuschauer eingefunden, die mit viel Neugier und Interesse das Tun der Kyudoka verfolgten. Auch Edgar Weinmann, einer der Gründerväter des Budo-Zentrums, schaute lange und intensiv zu wie sich das Kyudo in Rottweil entwickelt hat. Auch dieser 2. Enteki-Sonntag war um 16 Uhr in „trockenen Tüchern“ und die angereisten Kyudoka machten sich erschöpft aber glücklich auf die Heimreise.
Bild 1:
Die Sieger des Enteki-Wettkampfs: Links Bernd Rüger, Stuttgart, 2.Platz, Mitte Bernhard Weller vom Budo Zentrum 1.Platz und rechts Michael Rees, Stuttgart, 3. Platz
Bild 2:
Ein Gruppenfoto gehört einfach zu jedem Kyudo-Event dazu!
Bild 3:
Mit viel Energie und Ernsthaftigkeit wurde geübt. Daniela Ringli aus Stuttgart fokusiert das Ziel.
Bild 4:
Ganz frisch am O-Mato dabei war Alexej vom Shu Gi Kan Kyu Dojo ín Rottweil. Yasuko brachte schon mehr Kyudo-Erfahrung mit.
Text und Fotos: Marion Moritz